Ende des 19. Jahrhunderts erreichte unsere Landschaft eine fast unüberbietbare Dichte an Birnen- und Apfelbäumen. Bedingt durch eine große Nachfrage nach Obstbäumen haben sich um die Jahrhundertwende unter den Baumschulbesitzern rege Aktivitäten bemerkbar gemacht. So berichtet zum Beispiel die "Illustrierte Flora" aus dem Jahre 1908 über die Gründung der Vereinigung österreichischer Baumschulbesitzer, während "Der Obstzüchter" den Abonnenten dieser Fachschrift sechs niederösterreichische Baumschulen empfiehlt. Leider fehlt es an einer Statistik über den Baumbestand aus der damaligen Zeit. Da der Mostobstbau in der Zwischenkriegszeit noch nicht zurückging, kann man die amtliche Baumzählung aus dem Jahre 1938 für Vergleichszwecke heranziehen. Zufolge dieser Statistik über den Bestand an Äpfel- und Birnbäumen stand der Bezirk Amstetten an erster Stelle von allen Bezirken in Nieder- und Oberösterreich, betrug er hier doch in diesem Jahr insgesamt 994.831 Stück; das entspricht einer Dichte von 838 Bäumen pro Quadratkilometer. Innerhalb der nachfolgenden rund vierzig Jahre sank der Baumbestand um 59 Prozent (Bezirksdurchschnitt), in einzelnen Gemeinden nahezu um 70 Prozent. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, daß noch knapp vor fünfzig Jahren alle Anger, Feldraine und Straßen mit Obstbäumen gesäumt waren. Die straßenverschönernden Alleen, die zahlreichen Baumzeilen zwischen Wiesen und Feldern und die schattenspenden Hausgärten ergaben jene strukturierte Landschaft, die vielen nützte und vieles schützte! Dieses Landschaftsbild inspirierte auch viele Künstler zu ihren Werken. Josef Wagner beschreibt in seinem Epos "Der Bauernhauptmann" die Schönheit unserer Gegend wie folgt:
"Wohl küßt der Lenz die Breiten mancher Lande Im Maienmond, doch keine je so süß Wie meines Ennswalds, wonn'ge Hügelheimat.
Ein einz'ger Blütentraum der ganze Gau, Voll Duft und Glanz - und wenn das Paradies Ein Garten war, dann ist der Gottesgarten, Wo meine Jugend wob, ein Paradies."
Ein wahres Jubellied auf unsere Obstbaumblüte, ein Jubellied, das zu singen es immer weniger Anlaß gibt. In den vergangenen vierzig Jahren (ca. ab 1980) begann sich das vom Dichter in der Zwischenkriegszeit gezeichnete Bild erst langsam, dann immer rasanter zu verändern. Wieso verstummte das Jubellied, warum griff die Baumrodung, besonders in den siebziger und achtziger Jahren, immer stärker um sich? Solche Situationen lassen aufhorchen. Nun war es höchste Zeit, endlich wirksame Taten (Bäume) zu setzen! Der Niederösterreichische Naturschutzbund gab im Jahre 1980 mit seiner Aktion "Setz deinem Kind einen Baum" einen wichtigen Anstoß für ein Umdenken auf breiter Basis. In weiterer Folge haben sich maßgebliche Persönlichkeiten der Akademie für Umwelt und Energie in Laxenburg ernstlich um das Problem der Mostobstkulturen angenommen. Behördlicherseits laufen Maßnahmen auf Bezirksebene, so etwa über Initiative der Bezirkshauptmannschaft Amstetten, die sich bemüht, gemeinsam mit dem Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, der Landwirtschaftskammer sowie der Ybbstaler Obstverwertung unter Einbeziehung von Gemeinden Rettungsaktionen durchzuführen. Ein sehr begrüßenswerter Schritt. wenn durch die Förderung von neuen Baumkulturen geholfen werden kann, die ärgsten Wunden zu heilen, die geschlagen wurden. Dabei sollen bei Neupflanzungen wieder - möglichst in Nord-Süd-Richtung Alleen und Baumzeilen entstehen, wie Professor Wendelberger meint, denn diese bieten dem West- bzw. Ostwind einen wirksamen Widerstand und werfen außerdem auf die angrenzenden Gründe wenig Schatten. Neben den Bemühungen durch die öffentlichen Stellen zugunsten der bodentypischen Obstkulturen mögen alle Bauern mithelfen, daß sich unsere Kulturlandschaft nicht zur reinen Produktionslandschaft entwickelt. Wir alle sind aufgerufen, dem heimischen Naturgetränk, dem Most, zu besserem Image zu verhelfen. Als Hauptverbündete gelten in dieser Hinsicht - einen gewinnbringenden Obstpreis vorausgesetzt die industriellen Fruchsaftbetriebe und die gewerblichen Mostkellereien. Sie sind Garanten für die Absatzsicherung des überschüssigen Mostobstes und tragen somit einen Teil dazu bei, daß das "Mostviertel" seinen Namen auch in Zukunft zu Recht behalten wird.